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13.06.2023 Information

Eine Ana­ly­se

Analyse für den Rückgang an Ehrenamtlichen in NÖ Fußballvereinen

Erstellt von Christoph Lampert, Herbst 2022
In Niederösterreich haben seit 2015 ca. 10 % der Fußballvereine den Spielbetrieb eingestellt, bzw. sind einzelne davon in Spielgemeinschaften aufgegangen (NÖN Woche 27).
Als ein wesentlicher Grund wird der Rückgang an Ehrenamtlichen gesehen, die bereit sind, die viele Arbeit mitzutragen.
Vereinsleben in einem Ort ist wichtig. Da lohnt es sich genau hinzuschauen und entsprechende Analysen zu machen, die nicht nur an der Oberfläche kratzen.
Wenn dem so ist, dass ein wesentlicher Grund für die Einstellung des Spielbetriebes der Rückgang an Ehrenamtlichen ist, dann darf eine Analyse nicht bei diesem Befund stehen bleiben, sondern es muss nach den Ursachen gesucht werden, warum es offenbar immer weniger Ehrenamtliche gibt.
Je nach Verein werden die Ursachen wohl unterschiedlich sein. In vielen Fällen ist davon auszugehen, dass nicht nur ein Grund sondern mehrere Gründe zusammenspielen. Da Menschen unterschiedlich sind, finden manche etwas anziehend, während andere vom Gleichen abgeschreckt werden.
Dabei ist das Finden neuer Ehrenamtlicher eine Sache, diese beim Verein zu halten eine andere Sache.
Die Analyse gliedert sich in zwei Teile:
Erstens: “externe Faktoren”, die das Reservoir aus dem mögliche Ehrenamtliche gewonnen werden können, verändern.
Zweitens: “interne Faktoren”, die die Tätigkeit bei einem Verein attraktiv machen (oder auch nicht).
Bei den externen Faktoren kann durch die Vereine nur wenig und/oder mit großem Aufwand gegengesteuert werden.
Bei den internen Faktoren kann wohl bei dem einen oder anderen Verein optimiert werden, um das Reservoir an möglichen Ehrenamtlichen bestmöglich nutzen zu können.
Eine ganz klare Abgrenzung zwischen den beiden Faktorengruppen ist nicht möglich, da die Übergänge fließend sind.
Mein Hintergrund der Analyse bildet dabei unter anderem die Aktivität meines Sohnes bei Fußballclubs, wodurch ich sowohl dessen ehemalige Vereine etwas besser kenne, aber durch die Auswärtsspiele auch zahlreiche andere Sportplätze in der Region besuchte.
Externe Faktoren- Abbröckeln des Reservoirs
Vorausgesetzt wird, dass ein wesentliches Reservoir an Ehrenamtlichen Personen sind, die auf irgendeine Art und Weise einen Bezug zum Verein aufgebaut haben. Dies können Personen sein, die aktiv bei einem Verein Sport betreiben oder betrieben haben, Angehörige oder Verwandte, ihre Kinder, ihre Eltern, ihre Onkel oder ihre Tante, etc. die als Zuschauer:innen unterstützen oder unterstützt haben.
Eine andere Quelle sind Personen, die an der dargebotenen sportlichen Leistung interessiert sind und/oder das “Rahmenprogramm”, also das gastronomische Angebot, nutzen.
Immer wieder ist zu hören oder zu lesen, dass heutzutage “eh fast niemand mehr zu den Spielen kommt”, sprich, dass die Zuschauer:innenzahl zurückgeht.
Ein Grund, dass weniger Personen Fußballspiele besuchen, ist ein im Vergleich zu früher enormes Freizeitangebot, auch sportlicher Art (z.B. Beach-Volleyball, Mountain biking, Kletterhallen, Kletterparks, Basketballplätze, Skaterparks, American football, Trampolinhallen, Escape rooms, paint ball/Laser attack, Bogenschießen, Yoga, Fitnesscenter, …). In Kombination mit erhöhter Mobilität, erscheint für manche der Besuch des Fußballplatzes weniger attraktiv.
Über Medien wie TV, Streaming, Pay TV, etc. kann heutzutage für relativ wenig Geld bester Fußball zeitunabhängig, nach Lust und Laune, konsumiert werden – eine enorme Konkurrenz für kleine örtliche Vereine.
Oben wurde erwähnt, dass viele Personen zum Fußballplatz gehen (ich rede hier nicht von der Profiliga, sondern in unteren Klassen) um Personen zu unterstützen, zu denen sie einen persönlichen Bezug haben (befreundet, verwandt, etc.). Doch wie schaut heute in manchen Ligen die “Heimmannschaft” aus? Oft ist die Mehrheit der Spieler von auswärts, ohne jeden Bezug
zum örtlichen Verein oder zur örtlichen Bevölkerung und folglich gibt es kaum einen persönlichen Bezug.
Oftmals ziehen diese Spieler dann nach wenigen Jahren auch wieder zum nächsten Verein, der ein höheres Entgelt zahlen kann, weiter. Längerfristig Ehrenamtliche aus diesen Spielern zu gewinnen ist unwahrscheinlich.
Es ist eine strategische Frage, ob das Ziel ist, möglich hochklassig zu spielen oder möglichst viele Zuschauer:innen ins Stadion zu locken. Oft geht das nicht Hand in Hand.
Weniger Zuschauer:innen hat mehrere Folgen: Einerseits weniger finanzielle Einnahmen, sei es durch Eintrittsgelder, aber vor allem auch weniger Umsatz in der Kantine. Weniger Geld bedeutet, dass Vereine den Großteil der Einnahmen in den Spielbetrieb für Aufwandsentschädigungen der Spieler investieren müssen (müssen sie wirklich oder ist das eine
Strategiefrage?) und weniger in die Infrastruktur investieren können. Ein vernachlässigter Eindruck der Infrastruktur kann eine Folge davon sein.
Andererseits bedeutet weniger Besucher:innen am Sportplatz auf Grund eines immensen Konkurrenzangebots aber auch aufgrund von Mannschaften, mit deren Mitgliedern sich nur wenige identifizieren können, ein kleineres Reservoir, aus dem mögliche Ehrenamtliche gewonnen
werden können.
Interne Faktoren – Attraktivität eines Vereins
Wer schon Fußballspiele vor Ort beobachtet hat, weiß, dass dies kein gepflegtes friedliches Teekränzchen ist. Hier gibt es Emotion, Begeisterung oder Frustration, kann durchaus wechselnd während des Spielverlaufs sein.
Hier sind jedoch immer wieder mal Grenzüberschreitungen zu beobachten. Spieler der gegnerischen Mannschaft werden unflätig beschimpft, manchmal kommt es zu rassistischen oder ausländerfeindlichen Beschimpfungen, der Schiedsrichter ist ohnedies zuallermeist für die Gastmannschaft und entsprechendes Feindbild.
Dies schreckt manche Besucher:innen, insbesondere Eltern mit Kindern, ab. Hier ist die Frage, wie reagiert der Verein auf derartige Vorkommnisse – gehört das zur “Folklore” oder werden diese Personen ermahnt bzw aufgefordert dies zu unterlassen, sei es durch den Ordnerdienst oder den Platzsprecher etc. Oder gibt es gar (befristete) Platzverbote bei Unbelehrbaren?
Vergleichbares gilt für Handgreiflichkeiten/Raufereien im Nachlauf des Spieles, sind eventuell sogar Funktionäre involviert – falls derartiges vorkommt, wie wird damit umgegangen?
Ehrenamtlich tätig zu sein, bedeutet auch, viel Zeit mit anderen Ehrenamtlichen zu verbringen. Da muss die “Chemie” zwischen den Personen stimmen, um nach kürzerer oder längerer Zeit ein Ausscheiden oder interne Konflikte zu vermeiden. Je weniger Aktive es gibt, umso wichtiger ist der interne Zusammenhalt, nur so können die vielen Aufgaben gemeinsam gestemmt werden.
Es wird deshalb im Vorfeld geprüft, inwieweit das Vereinsumfeld, also die Strukturen und aktiven Ehrenamtlichen, für einen attraktiv erscheint und man/frau sich mit dem Verein identifizieren kann.
Entsprechend stehen insbesondere die aktiven Ehrenamtlichen in der Auslage. Dies beginnt mit Betreten des Stadions durch Besucher:innen bis zum Verlassen. Aber auch im Alltag. Welches Weltbild präsentiert jeder/jede einzelne Aktive, sei es im Umgang mit Frauen, LGBTIQ, mit Ausländer:innen, mit sozialen Fragen, zum Umweltschutz, etc. (auch in angeheitertem Zustand)? Gibt es Funktionäre, die mit ihren Ansichten vielleicht dazu beitragen, dass Abstand genommen
wird, beim Verein ehrenamtlich aktiv zu werden?
Wie ist der Eindruck bei Großereignissen: wirken die Mitarbeiter:innen (wegen Personalmangels) überfordert oder gestresst oder wird Freude vermittelt, gemeinsam ein Fest zu schaukeln – ein Fest für die Bevölkerung verbunden mit Einnahmen für den Verein?
Aber auch der Öffentlichkeitsauftritt des Vereins kann als Informationsquelle herangezogen werden. Welchen Eindruck vermittelt der Verein über den Internet-Auftritt, den facebook account, in der Außenkommunikation? Dieser Eindruck sollte halbwegs professionell und ansprechend sein. Dafür sind entsprechende Strukturen notwendig um zu verhindern, dass Aussendungen, Postings etc gemacht werden, die vielleicht das Ansehen des Vereins beschädigen können. Welche Bilder werden in Werbevideos benutzt, welche Sprache wird gegenüber Dritten benutzt – respektvoll und sachlich?
Schließlich ist davon auszugehen, dass die interne Kommunikation wohl weniger “gefiltert” als die Außenkommunikation ist.

Bildausschnitt aus einem Werbevideo (Einladung zu einem Spiel) eines in der Region ansässigen Vereins

Manche Vereine werden manchmal stark einer Partei zugeordnet. Ein “Politisierung” von Vereinen kann jedenfalls für Personen, die politisch eine andere Heimat haben, ein Hemmnis sein, ehrenamtlich tätig zu werden.
Die Geschlechterverteilung der Funktionär:innen sollte nicht zu einseitig sein – ein “Männerverein” könnte auf weibliche Interessentinnen vielleicht abschreckend wirken.
Manche Ehrenamtliche wollen “nur mithelfen” andere wiederum gestaltend mitwirken und Projektverantwortung übernehmen.
Gibt es die Möglichkeit im Verein “Karriere” zu machen – oder sind die Funktionen “einzementiert”?
Ist der der Obmann/die Obfrau bereit, Kompetenzen und Verantwortung abgeben?
Gibt es die Möglichkeit, Projekte eigenständig durchzuführen und allfällige Gewinne ganz oder zumindest zum Teil im Projekt zu halten oder dienen diese Gewinne vor allem für die Quersubvention anderer defizitärer Bereiche?
Wichtig ist die gegenseitige Anerkennung in der Gruppe und eine für alle gerecht erscheinende Entschädigung für die erbrachten Tätigkeiten, sei es in Form von finanziellen Zuwendungen (etwa pro geleisteter Arbeitsstunde) oder in Form von Naturalien, wie freier Getränke- oder Speisenkonsum innerhalb eines bestimmten Rahmens.
Ich bin mir sicher, es gibt noch zahlreiche, vielleicht sogar wichtigere andere Gründe, warum Personen bei Vereinen aktiv werden oder eben auch nicht.
Die verfügbare Zeit etwa, wenn man beruflich sehr eingesetzt ist, oder (kleine) Kinder hat. Vielleicht hat man auch eine prinzipielle Abneigung gegen die österreichische “Vereinsmeierei”. Das sind jedoch Fragen die seitens der Vereine kaum beeinflusst werden können.
Klar erscheint jedoch, dass zahlreiche Ursachen des Mangels an Ehrenamtlichen auch vereinsintern sein können. Dies auszumerzen, ist Sache der Vereine selbst.

Bild von Christoph Lampert
Dr. Christoph Lampert

Vizebürgermeister

Sprechstunde am Gemeindeamt: Mo. von 8:30 – 10:00 u. nach Vereinbarung

[email protected]
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